Ohne Zähne auf die Bühne – Rock- und Jazzmusiker am untersten Level!
Musik ist heute nicht mehr historisches Ereignis oder bewundertes Kulturgut, sondern allgegenwärtiges Gebrauchsgut wie Wasser: Hahn auf – Wasser raus. MP3, Filesharing, Spotify, iLife oder Logic sorgen alltäglich und unermüdlich für eine Redundanz des Hörens, aber auch für die unendliche und komfortable Verfügbarkeit von Musik auf Festplatten. Micro-Blogging hält den Diskurs über Musik im Fluss und hilft Szenen sich international zu verbreiten. Die sog. Magie des Unerhörten ist Geschichte. Das ist ziemlich großartig!
Was aber, wenn die Musik genau hier verarmt, wo sie ihr Potenzial nicht ausschöpfen kann, ihre Möglichkeiten nicht realisieren kann, weil der Kunst die Mittel fehlen, der Markt sie behindert und ihr die gesellschaftliche Anerkennung versagt bleibt. Ästhetische Autonomie, also die Unabhängigkeit der Künstler/Musiker von repräsentativen gesellschaftlichen Funktionen, bedeutet heute stärker denn je, dass man als Künstler/Musiker Unabhängigkeit mit Armut bezahlt. Neue Konzepte der Musikförderung müssen diese wirtschaftlichen Unwägbarkeiten berücksichtigen, denn die aktuelle Flucht des Musikers in die Privatheit lesen wir als trotzige Abwehrhaltung gegen einen Musikerbetrieb, in dem schräge Töne aufgrund schlechter Vermarktbarkeit nur schlechte Chancen haben, adäquat vom Publikum wahrgenommen zu werden, denn es bleibt ebenso wie der Künstler selbst: außen vor. Das öffentliche Konzertleben, die Performance zu befördern und die Nachwuchsbildung ebenso wie die Publikumsbildung voranzutreiben sollte deshalb primäres Ziel der Musikförderung sein. Die Entwicklung neuer Informationstechnologien sowie die Stärkung und Ausweitung bestehender musikalischer Netzwerke, kann dabei nicht Vision bleiben, sondern muss Wirklichkeit werden.
Und genau hier setzt die Arbeit des Bundesverbands Popularmusik an: Hier ist bekannt, dass Musiker wieder an der Wursttheke stehen und als Totengräber arbeiten, dass Produktionskosten bis ins Mark minimiert werden und Musik dennoch zum teuren Hobby wird. Kurz: Dass der Prozess der Produktion, des Vertriebs, der Promotion, der Konzerte etc., der einst eine geschlossene, wirtschaftlich autarke Kette bildete und das Geld gewissermaßen in der Familie ließ, schwer angeschlagen scheint. Die großen bekannten Titel und Musiker bleiben gerne groß, während die mittleren und kleinen sowie der Nachwuchs an der Speerspitze der Subkultur verweilen darf. Ausgeschlossen von einem Markt, der nur sporadisch antwortet. Sogar bekannte Artists wie Die Sterne, Olli Schulz, Jennifer Rostock oder Philipp Poisel können von ihrer Musik nicht leben. Diese Option scheint für die meisten der Musikschaffenden in Deutschland fast unwahrscheinlich geworden. Viele Musiker nagen am Hungertuch! Keine Gagen, keine Absicherung, und am Ende sind sie selber schuld! Die Süddeutsche macht diese Woche Schlagzeilen: Die soziale Absicherung für Kreative (in Form der KSK) ist in Gefahr! Auch der SWR2 spricht, neben wachsenden Protesten in Netz, Backstägeräumen, Bars, Büros und auf der Bühne über Ausbeutung, Dumpinglöhne und Existenzängste von Musikern und anderen Kunstschaffenden und sogar der Deutsche Kulturrat ist besorgt! Denn, wer in Deutschland das Berufsziel freie Musikerin oder freier Musiker hat, der darf sich offenbar keine Hoffnungen auf „normale“ Arbeitsbedingungen machen. Jedes Jahr werden die Aussichten schlechter. Das belegt eine aktuelle Studie, die der Deutsche Kulturrat veröffentlicht hat. Die prekäre Situation von Künstlern im Allgemeinen und Musikern im Speziellen spitzt sich zu! Besonders die Musiker der freien Szene im Bereich Rock/Pop und Jazz verdienen nicht mehr als 11.500€ im Jahr und tragen damit das höchste Risiko. Der Musikbereich ist am untersten Level angekommen!! Wir sind dagegen!
Wer Musikerexistenzen heute zeitgemäß fördern will, für den bleibt folgender Sacherhalt bedeutsam: Zusammenhänge zwischen ökonomischen Verhältnissen, pekuniären Erwartungen und künstlerischer Qualität sind und waren in der populären Musik nicht auszumachen. Von der Knochenflöte bis zum letzten Schrei digitaler Musik-Tools. Darüber hinaus sollten wir nach der digitalen Revolution nicht nur die Steigerung von musikalischer Komplexität und Präzision begrüßen, sondern auch die permanente Bereicherung, Konjunktur und Prosperität musikalischer Gestaltungs- und Erlebnismöglichkeiten. Diesen Gewinn an Möglichkeiten zu nutzen und ihn als einen solchen zu erleben, ist Ziel einer urbanen popmusikalischen Auseinandersetzung mit Musikförderung, damit sich der globale Hoffnungsträger Internet letztlich nicht als janusköpfiger Geselle entpuppt. Schwimmt der 18-jährige Wohnzimmer-Produzent in musikalischem Reichtum oder ist er arm dran, weil er nicht mehr aus dem Haus kommt? Ist Musik heute noch Werkzeug individueller Identitätsbildung? Bereichert Vernetzung das Musikmachen oder beschränkt sie doch eher das Blickfeld? Alle diese Fragen gilt es in regelmäßigen Foren und Zirkeln zu diskutieren, um Möglichkeitsräume zu erschließen. Audio Poverty in Berlin, Plan Pop in Rostock und Alteglofsheim oder Operation Ton in Hamburg können nur eine Facette der Diskussion bieten, doch als regelmäßiger Fachdiskurs mit Musikschaffenden, Pädagogen, Verwertern und politischen Gremien ließen sich hier gezielt und effektiv zukunftstragende Popfördermodelle entwickeln, die über neue Selbstverständnisse und Strategien künstlerischen Handelns allein hinausgehen werden, ohne den schnellen Profit im Fokus zu haben.
Andrea Rothaug